Die Tragödie des "Volkes mit mehreren Sprachen"

 

Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Welt überrascht von einem unbeschreiblichen Ausmaß von Hass und Gewalt der tschechisch sprechenden gegen ihre deutschen Mitbürger. Viele der Betroffenen haben das bis heute noch nicht verstanden. Es gibt allerdings weltweit zahlreiche vergleichbare Ereignisse. Beispielsweise die Ausrottung der in Kleinasien seit mehr als 3500 Jahren lebenden Armenier durch Türken in den Jahren 1915-1918; die Vertreibung der Griechen aus der Türkei und der Türken aus Griechenland 1914-1923; die wiederholten und anhaltenden massenhaften Vertreibungen der Rohingya aus Myanmar seit 1942; die verlustreichen gegenseitigen Agressionen der Völker des ehemaligen Jugoslawien 1991 bis 1995; der Überfall der Russen auf die Ukraine seit 2014 und erneut 2022.

Tschechen und Deutsche sowie zehn weitere Nationen lebten in Böhmen und Mähren seit Jahrhunderten nicht nur überwiegend friedlich zusammen, sie kannten sich nicht nur aus alltäglichen Kontakten, sie hatten die selbe Schulbildung, die selbe religiöse Tradition, die selben Sitten und Gebräuche, ja sie waren tausendfach miteinander verwandt, verschwägert und befreundet. Es hatte sich in vielen Jahrhunderten ein Volk mit mehreren Sprachen gebildet.

Bis zum 19. Jahrhundert sind keine direkten Gewalttaten zwischen den eng zusammenlebenden Deutschen und Tschechen bekannt. Es war Franz Palatzky (1798-1876) aus Hotzendorf im Kuhländchen, der mit seinen falschen Behauptungen über die jahrhundertelange Unterdrückung des tschechischen Volkes durch die Deutschen, das „Temno“ [dunkle Zeit], den Spaltkeil in die Bevölkerung trieb. Schon 1848 wurden unter den Tschechen zunächst leise die Forderung nach der Vertreibung der Deutschen hörbar. Erstmals 1919 bei der Gründung des neuen Nationalstaates Tschechoslowakei richteten die Tschechen die Waffen gegen ihre deutschen Mitbürger. Diese protestierten zwar, aber es kam zu keinen gewaltsamen Gegenreaktionen. Die Verfassung des neuen Staates schloss die Deutschen vom Staatsvolk, der Nation, aus. Man bezeichnete sie gelegentlich als Gäste, die sich dem tschechischen Diktat zu beugen hätten.

Aufgrund der anhaltenden Diskriminierungen durch die Tschechen waren die Deutschen 1938 zunächst erfreut über den Anschluss ihrer Gebiete an das Deutsche Reich. Sie hatten sich diesen Anschluss weder gewünscht, noch hatten sie ihn herbeigeführt. Aber sie haben zu spät begriffen, dass sie nun einer noch rücksichtsloseren Diktatur ausgeliefert waren. In kürzester Zeit wurden ihre Traditionen zerstört, die gesellschaftlichen Einrichtungen, die Vereine und die Verwaltung der Kommunen wurden „gleichgeschaltet“ und von reichsdeutschem, fanatischem Personal übernommen. Und schon nach einem Jahr begann das große Sterben ihrer Männer in einem sinnlosen Krieg.

Zweifellos kam es nach 1938 zu schlimmen Übergriffen auf die tschechische Bevölkerung durch die nationalsozialistische Diktatur, unter der die Sudetendeutschen auf andere Art ebenfalls zu leiden hatten. Dokumentiert ist dies auf der Totentafel des Kuhländchens 1939-1946, deren Zahlen vom Verein Alte Heimat Kuhländchen zusammengetragen wurden, aber selbstverständlich unvollständig sind.

Nach dieser Entwicklung wäre 1945 die neue Regierung der Tschechoslowakei gut beraten gewesen, jetzt endlich das Versprechen von 1919 nach einer „Zweiten Schweiz“ wahr zu machen und allen Nationen auf ihrem Territorium die erhoffte Autonomie nach dem Schweizer Vorbild zu gewähren. Aber es kam anders.

Über die gute alte Zeit der Monarchen und Könige wird heute gerne herablassend gesprochen. Gewiss waren damals die gesellschaftlichen Entwicklungen etwas gemütlicher und es wurden trotzdem sinnlose Kriege geführt. Jedoch waren brutale Bürgerkriege, wie sie seit der Abschaffung der Monarchien in den letzten 200 Jahren stattfanden, zuvor unbekannt. Offenbar bringt die Selbstregierung der Völker durch Demokratie die bekannten menschlichen Eigenschaften wie Engstirnigkeit, Fanatismus, Überheblichkeit und Egoismus in einem erschreckenden Ausmaß zum Tragen.

Es bleibt die Hoffnung, dass das Zusammenleben der Völker unter dem Dach der Europäischen Union das gemeinsame Interesse der Völker an Frieden und Freundschaft auf Dauer erhält.

 

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